Der Kreuzstadl in Rechnitz – ein Mahnmal für die Opfer des Südostwallbaus
Die Marktgemeinde Rechnitz mit rund 3500 Einwohnern liegt am Fuße des Geschriebensteins an der ungarischen Grenze.
An die einst bedeutende jüdische Gemeinde des Ortes als geistiges und kulturelles Zentrum der jüdischen Kultur erinnert nur mehr der jüdische Friedhof und eine Gedenktafel, die 1990 an der ehemaligen Synagoge, nach langjährigem Briefverkehr zwischen verschiedenen Opferverbänden und der Gemeindevertretung, angebracht wurde.
Schwierig gestalteten sich auch die Bemühungen für einen Gedenkstein für die Opfer der Naziherrschaft in Rechnitz. 1991 konnte ein solcher in bescheidener Form an der Hinterseite des Schlossparks und nicht, wie erhofft, an der Vorderseite neben dem Kriegerdenkmal aufgestellt werden.
Wie in vielen anderen Orten wurde auch in Rechnitz nie die grundsätzliche Arbeit der Auseinandersetzung mit dem NS-Herrschaftssystem geleistet - weder von der politischen Gemeindevertretung, noch auf einer individuellen persönlichen Ebene.
Die Ereignisse, die den Ort geschichtlich am meisten belasten, fanden wenige Tage vor Kriegsende statt. In der Nähe des Kreuzstadls des Gutes Batthyány wurden rund 180 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter von den Nazis ermordet und verscharrt. Die Mörder hatten ein Gefolgschaftsfest im örtlichen Schloss verlassen und feierten nach der Tat weiter. Nach dem Massengrab wird nun seit Jahren gesucht, um die Opfer in gebührender Weise und nach jüdischer Zeremonie bestatten zu können. Noch immer gibt es die Hoffnung auf einen Hinweis aus der Bevölkerung, wo die Toten vergraben sein könnten.
Wie schwierig das Aufgreifen dieser Gräueltat ist, konnte RE.F.U.G.I.U.S. - die Rechnitzer Flüchtlings- und Gedenkinitiative und Stiftung - seit ihrem Bestehen immer wieder erfahren.
Diese Initiative, gegründet auf Anregung und unter wesentlicher Beteiligung des Pianisten Paul Gulda, stellt es sich zur Aufgabe, den Kreuzstadl als Gedenkort für alle Opfer beim Südostwallbau zu erhalten und die Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart bewusst zu machen.
Der Bau des Südostwalls und der Mord an ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern in Rechnitz
Im Oktober 1944 begannen im burgenländisch-ungarischen Grenzgebiet die Bauarbeiten zum so genannten "Südostwall", einem System von Befestigungsanlagen, das die sowjetische Armee an der Reichsgrenze aufhalten hätte sollen. Am Bau wurden Zivilisten aus den angrenzenden Reichsgauen Wien, Niederdonau und Steiermark eingesetzt, vor allem aber Zwangsarbeiter.
In Rechnitz begannen die Bauarbeiten am 9. Oktober 1944:
"In den Herbstmonaten des Jahres 1944 wurden Fremdarbeiter aus 12 Nationen, und zwar Franzosen, Griechen, Flüchtlinge aus den Balkanstaaten, Zwangsarbeiter aus den Ostgebieten, Muselmanen aus Serbien und Juden aus verschiedenen Staaten nach Rechnitz gebracht, um auch hier einen durchgehenden Panzergraben und Stellungen zu errichten. Auch Hitlerjugend wurde aus der Steiermark nach Rechnitz verlegt ... . Auch die Ortsbevölkerung, Männer und Frauen, mussten an der Errichtung des Südostwalles mitarbeiten."1
Am 8. November 1944 begannen die Todesmärsche der Budapester Juden nach Hegyeshalom/Straß-Sommerein. Von dort kam es zur Aufteilung der ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter auf die einzelnen Bauabschnitte des Südostwalls, wobei in Köszeg zwei Lager errichtet wurden. Am 24. März 1945 wurden rund 1000 ungarische Juden von Köszeg über Rechnitz in den Bauabschnitt Burg transportiert. 200 von ihnen wurden als arbeitsunfähig eingestuft und nach Rechnitz zum Bahnhof und von dort zum Kreuzstadl des Schweizermeierhofes gebracht. Am selben Abend fand im Schloss Batthány in Rechnitz ein Fest der örtlichen NS-Parteiführer statt, insgesamt dürften etwa 40 – 50 Personen an diesem Fest teilgenommen haben.2 Während des Festes stellte der Ortsgruppenleiter Podezin ein Erschießungskommando von 14 bis 15 Personen aus dem Kreis der Festgäste zusammen und verteilte die erforderliche Munition, um die beim Kreuzstadl lagernden Juden zu liquidieren. Nach dem Massenmord kehrten die Täter zu den Festgästen zurück. Eine Gruppe von 30 bis 40 weiteren jüdischen Zwangsarbeitern musste die Leichen begraben. Am darauffolgenden Abend wurden diese Zwangsarbeiter, das "Zuschauflerkommando", in der Nähe des Schlachthauses erschossen.3
1948 wurde der Prozess gegen die Täter aufgenommen. Sämtliche Zeugen bestritten die Angaben, die in einer Voruntersuchung gemacht worden waren, und entlasteten damit die Angeklagten. Die Urteile fielen sehr milde aus. Die Hauptverdächtigen Franz Podezin und der ehemalige Gutsverwalter Hans Joachim Oldenburg konnten nicht ausgeforscht werden.
Die Suche nach den Opfern des Kreuzstadlmassakers
Im April 1945 ordnete die russische Kommandantur eine Stichexhumierung der Opfer der 2. Erschießung beim Schlachthaus an.
Weitere Grabungen fanden erst wieder im Herbst 1969 statt. Der Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge unter der Leitung von Horst Littman suchte nach deutschen Kriegstoten. Während dieser Grabungen erfuhr Littmann von den Massenmorden an den ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern und widmete sich in der Folge auch der Suche nach diesen Opfern. Im März 1970 kam es zur Exhumierung der Opfer beim Schlachthaus. 18 Leichen wurden auf dem jüdischen Friedhof Graz-Wetzl bestattet. Die erste Suchgrabung direkt beim Kreuzstadl fand im Frühjahr 1988, die zweite im Oktober 1988 statt, jedoch beide ohne Ergebnis. Weitere erfolglose Grabungen folgten in den Jahren 1990, 1991, 1992 und 1993, 1995, 1996. Auch der bisher letzte Versuch im Jahr 2001, die Opfer des "Kreuzstadlmassakers" zu finden, scheiterte.
An der Suche nach dem Massengrab beteiligten sich neben dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge, u.a. auch das Bundesministerium für Inneres, die Universität Wien mit dem Institut für Ur- und Frühgeschichte, die Israelitische Kultusgemeinde und der Verein Shalom.
Die erfolglose Suche ist Grund für verschiedenste Vermutungen und Gerüchte.
Eine jahre-, jahrzehntelange Suche nach einem Grab, warum? Für die jüdische Glaubensgemeinschaft geschieht diese Suche aus einer religiösen Verpflichtung heraus. Diesen grausam ermordeten Menschen soll ein Begräbnis in der Tradition ihrer Religion, eine Ruhestätte in der geheiligten Erde gewährt werden. Es geht um einen Ort des Gedenkens und des Erinnerns.
Eine Initiative entsteht
Bereits 1987, einige Jahre vor der Gründung des Vereines RE.F.U.G.I.U.S., wurde eine Unterschriftenaktion für die Errichtung eines Mahnmales zum Gedenken an das Kreuzstadl-Massaker gestartet:
"Seither wächst nichts als Gras auf den Gräbern – auch das Gras der Vergessenheit. Den Vergangenheitsverdrängern und Mitschuldigen wäre es am liebsten, dass es so bleibt. ... Wir, die Unterzeichneten, wollen, dass auf der blutgetränkten Erde von Rechnitz ein Mahnmal für die Opfer der Nazibarbarei errichtet wird, als Mahnwache, als stetes Gedenken, als Mahnung, damit sich die Zeit ohne Gnade nicht wiederholt."4
1989 wurde bei der Ausstellung "Naziherrschaft und was uns blieb" im Offenen Haus Oberwart auch an die Opfer von Rechnitz erinnert und die Errichtung einer Gedenkstätte gefordert. Die Arbeit an dieser Ausstellung und die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema waren - neben der Initiative von Paul Gulda - mit ein Ausgangspunkt für die spätere Gründung der Rechnitzer Flüchtlings- und Gedenkinitiative und Stiftung.
1990, im Zuge der Dreharbeiten zum Film "Totschweigen", blieb ein Aufruf des katholischen Dechants Andreas Wurzer, des evangelischen Pfarrers Ulrich Haas und des OSR Hauptschuldirektor i.R. Wilhelm Gregorich mit dem Ziel, Hinweise aus der Bevölkerung über die Lage des Grabes zu erhalten, leider ohne Erfolg:
"Es geht weder um Schuldzuweisung, noch um die Aufklärung der Vorkommnisse, die schon lange zurückliegen. Es geht darum, was jeder Mensch sich wünscht: Ein seinem Glauben oder Wunsch entsprechendes Begräbnis zu erhalten. Und das hat nichts mit Politik oder Herumstochern in der Vergangenheit zu tun. Das ist ein Grundrecht jedes Menschen. Jeder weiß, dass viele in Rechnitz – Alte und Junge – wissen, wo beim Kreuzstadl die Gräber sein könnten. Wenn wir alle diese Hinweise und Informationen zusammen sammeln, dann besteht Hoffnung, dass endlich Friede einkehrt in diese Geschichte."5
Im Feber 1991 entstand rund um Paul Gulda, dem Antifaschistischen Personenkomitee Burgenland und dem Verein Grenzlos die Initiative RE.F.U.G.I.U.S. - Rechnitzer Flüchtlings- und Gedenkinitiative und Stiftung, die sich folgende Aufgaben stellte: Gedenken an die Opfer der Naziherrschaft in Rechnitz sowie Errichtung eines Hauses der Flüchtlinge in Rechnitz - mittels Durchführung kultureller Benefizveranstaltungen. Im selben Jahr gab Paul Gulda mit Freunden das erste Benefizkonzert zum Gedenken an die 180 ermordeten jüdischen Zwangsarbeiter. Der Reinerlös der Veranstaltung sollte einem so genannten "Haus der Flüchtlinge" in Rechnitz zugute kommen.
Paul Gulda beschrieb die Beweggründe für sein Engagement in einer Aussendung aus dem Jahr 1991: "Ich bin teilweise jüdischer Abstammung - Verwandte aus Westungarn. ... Wir haben in letzter Zeit viel über Vergangenheitsbewältigung, über Trauerarbeit gehört. Hier in Rechnitz hat sich durch die Grenzlage, dadurch, dass hier wieder Menschen leben, die ihre Heimat verlassen mussten und unsere Hilfe brauchen, die Idee materialisiert: Man tut etwas, das die Grauen der Vergangenheit in der Jetztzeit bekämpft – rückwirkend – wirklich greifbar – man tut etwas, das dazu beiträgt, dass sich das Grauen nicht wiederholen kann.6
Am 2. November 1991 luden der Verein RE.F.U.G.I.U.S., der Verein Grenzlos und das Unabhängige Antifaschistische Personenkomitee Burgenland zum Gedenken an die Opfer der Naziherrschaft und zu einem Musikfest der Volksgruppen ein: "Gerade im Jahr der 70jährigen Zugehörigkeit des Burgenlandes zu Österreich erscheint es uns statthaft, dessen kulturelle Vielfalt zu feiern, gleichzeitig aber auch den Verlust des jüdischen Elementes bewusster zu machen."7
An der ehemaligen Synagoge wurde eine Gedenktafel, die bereits 1990 angebracht worden war, feierlich enthüllt: "Zum Gedenken an den Leidensweg unserer ehemaligen jüdischen Mitbürger. Hier stand ihr Bethaus. Es wurde 1938 von den Nationalsozialisten zerstört. Gewidmet Gemeinde Rechnitz."
Anschließend konnte ein Gedenkstein für die Opfer des Kreuzstadlmassakers vom März 1945 und für vier Rechnitzer Widerstandskämpfer im Schlosspark von Rechnitz nach jahrelangen Bemühungen enthüllt werden - jedoch nicht wie von den Initiatoren geplant.
Ursprünglich war es beabsichtigt, nach einem Entwurf des bildenden Künstlers Wolfgang Horvath, neben dem im Park stehenden Kriegerdenkmal ein Mahnmal – in ähnlicher Dimension mit dem Grundriss eines Kreuzstadls, gebaut aus Steinen des Rechnitzer Steinbruchs – gegenüberzustellen. Abgelehnt wurde dieser Entwurf vom Gemeinderat mit der Begründung, dass dieses Mahnmal zu groß sei. So wurde ein kleines Denkmal an der Hinterseite des Schlossparks errichtet.
Nach weiteren Benefizkonzerten im März, Juni und Juli im Jahr 1992 konstituierte sich RE.F.U.G.I.U.S. als Verein, mit den Zielen:
- Erinnerung an die unaufgearbeiteten Gräuel der Naziherrschaft.
- Einrichtung eines für Rechnitz passenden Wohnobjekts und einer Anlaufstelle für Flüchtlinge in Rechnitz.
- Ein Rechnitzer Kulturleben, das zu diesem Thema und zur Region Bezüge aufweist.
- Diese Zusammenhänge sichtbar und fühlbar zu machen, sowie eine Kultur des Zusammenlebens zu entwickeln.
- Vernetzung und Koordination von Aktivitäten zu gleichen oder ähnlichen Zielen.
Innerhalb von RE.F.U.G.I.U.S. formierte sich die Kreuzstadl-Initiative auf Anregung des burgenländischen Bildhauers Karl Prantl und Marietta Torbergs, die sich zur Aufgabe stellte, die Ruine des Kreuzstadls zu erwerben und vor einem weiteren Verfall zu bewahren.
Durch Spenden konnte die Kreuzstadl-Initiative das Grundstück rund um den Kreuzstadl erwerben und durch Renovierungsarbeiten die Ruine vor dem weiteren Verfall bewahrt werden.
Am 14. November 1993 wurde das Mahnmal "Kreuzstadl" im Rahmen einer Gedenkfeier dem Bundesverband der Israelitischen Kultusgemeinden unter Beisein seines Präsidenten Paul Grosz und des Oberrabbiners Paul Chaim Eisenberg übergeben.
Zur selben Zeit entstand eine heftige Diskussion um das von RE.F.U.G.I.U.S. geplante "Haus der Flüchtlinge". Der "Freiheitliche Gemeindekurier" warnte vor einem "zweiten Traiskirchen" und vor den besonders schlimmen Folgen für den Fremdenverkehr. In einer gemeinsamen Sitzung von Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche, der politischen Gemeinde Rechnitz sowie RE.F.U.G.I.U.S. wurde versucht, gemeinsam einen Weg für ein "Haus der Flüchtlinge" zu finden.
Alle Anwesenden glaubten an die Realisierung eines überschaubaren "Flüchtlingshilfeprojektes auf Gemeindeebene" - an die Schaffung von Wohnraum für max. 10 Personen bzw. 2 Familien.8
Leider wurde dieses Vorhaben seitens der politischen Gemeinde nicht unterstützt. In einem Gemeinderatsbeschluss wurden die kulturellen Veranstaltungen des Vereins RE.F.U.G.I.U.S. zwar begrüßt, der Verein aber ersucht, die Veranstaltungen nicht mehr unter dem Motto "Haus der Flüchtlinge" durchzuführen.9
Mit ein Grund für den Meinungsumschwung der Gemeindevertretung dürften die Vorkommnisse rund um den Film "Totschweigen" von Margaretha Heinrich und Eduard Erne gewesen sein. Der Film "Totschweigen" begleitet vier Jahre lang die Suche nach dem Massengrab der ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter und beleuchtet den historischen Hintergrund der Deportationen ungarischer Juden. Er beschreibt das Verhältnis der Rechnitzer EinwohnerInnen zu den Ereignissen im Jahr 1945, erzählt von ihren Erinnerungen und ihren Reaktionen auf die Suche von heute. Der Film handelt vom Verschwinden von Vergangenheit, vom Umgang und der Konfrontation mit eigener Geschichte.
Was als Dokumentationsfilmprojekt begann, änderte sich im Verlauf der ersten Drehphase. Die Filmemacher traten aus ihrer Rolle der Beobachter heraus und beteiligten sich an der Suche und Recherche - in Zusammenarbeit mit der Israelitischen Kultusgemeinde.
Die Gemeindevertretung unterstütze die Uraufführung dieses Films in Rechnitz nicht, mit dem Argument, dass weite Teile der Bevölkerung dies nicht billigen würden.
Für die Premiere des Films am 23. Mai 1994 stellte der örtliche katholische Pfarrer das Pfarrheim zur Verfügung. Der große Saal war derart überfüllt, dass auch in den anderen Veranstaltungsräumen Fernsehapparate aufgestellt werden mussten, um allen Interessierten, die gekommen waren, den Film zeigen zu können.
RE.F.U.G.I.U.S. tritt in die Phase der Rebellion
Enttäuscht verlegte RE.F.U.G.I.U.S. in der Folge seine kulturellen Aktivitäten auf Landesebene. Es folgten mehrere Veranstaltungen in Eisenstadt, Oberpullendorf, Kobersdorf, Oberschützen und Oberwart.
Zu dieser Zeit rückte das Thema "Mahnmal Kreuzstadl" immer mehr in den Vordergrund der Arbeit von RE.F.U.G.I.U.S..
Bei einer Gedenkfeier am 26. März 1995, anlässlich des 50sten Jahrestages des Massakers beim Kreuzstadl, wurde ein Gedenkstein des Bildhauers Karl Prantl enthüllt. Begleitet wurde diese Gedenkfeier durch ein gemeinsames Gebet von Oberrabbiner Chaim Eisenberg, Superintendentin Gertraud Knoll und Generalvikar Johannes Khol sowie durch Reden des Schriftstellers Doron Rabinovici, des Bundesministers Rudolf Scholten und des 2. Nationalratspräsidenten Heinrich Neisser. Die Schlussworte sprachen der Rechnitzer Bürgermeister Josef Saly und Vizebürgermeister Heribert Oswald.
In der Generalversammlung 1996 änderte RE.F.U.G.I.U.S. seine Ziele. So heißt es ab nun:
Einrichtung eines Wohnobjekts und einer Anlaufstelle für Flüchtlinge im Burgenland, anstatt Einrichtung eines für Rechnitz passenden Wohnobjektes.
Beiträge zum Kulturleben, die zu oben genannten Themen und zur Region Bezüge aufweisen, anstatt Beiträge zu einem Rechnitzer Kulturleben.
Um folgende wesentliche Punkte wurden die Ziele erweitert:
Aktivitäten, Veranstaltungen und Konzerte auf Landesebene. Damit soll in zeitgeschichtlichen Fragen und solchen der Minderheiten- und Flüchtlingspolitik zur Wachsamkeit bzw. zum Mitdenken angeregt werden.
Betreffend Kreuzstadl, wurde erstmals das Ziel, Erklärung des Kreuzstadls zu einem Landesmahnmal formuliert.10
Mahnmal Kreuzstadl für alle Opfer des Südostwallbaus
Bereits in der Einladung zur Gedenkveranstaltung am 6. April 1997 wurde darauf hingewiesen, dass der Bundesverband Israelitischer Kultusgemeinden sowie der Verein RE.F.U.G.I.U.S - stellvertretend für alle jüdischen Opfer beim Südostwallbau - eine Tradition des jährlichen Gedenkens beim Kreuzstadl in Rechnitz begründen wollen.11
In der Folge führten Vorstandsmitglieder von RE.F.U.G.I.U.S. erste Gespräche mit VertreterInnen des Landes Burgenland über die Idee eines burgenländischen Landesmahnmals Kreuzstadl. Am 27. Mai 1997 einigten sich VertreterInnen der Israelitischen Kultusgemeinde, des Vereines RE.F.U.G.I.U.S. und die damals amtierende Landesrätin für Kultur, Christa Prets, grundsätzlich über das gemeinsame Anliegen, dass das lokal orientierte Mahnmal Kreuzstadl zu einem zentralen Mahnmal für die Jüdischen Opfer des Südostwallbaus erklärt und erweitert werden solle. Danach kam es immer wieder zu Gesprächen mit der Burgenländischen Landesregierung, in denen weitere Vorgehensweisen und Planungen des Vorhabens diskutiert wurden. Am 3. Feber 1998 regte Landeshauptmann Karl Stix die Schaffung einer breiten Plattform an, die die Idee eines Landesmahnmals in Rechnitz mittragen sollte.
Am 29. März 1998 gedenken der Opfer beim Südostwallbau Oberrabbiner Chaim Eisenberg, Oberkantor Shmuel Barzilai und als Hauptredner der ungarische Historiker Szabolcs Szita. Die Idee Landesmahnmal konnte bis zu diesem Termin nicht verwirklicht werden.
Da seitens des Landes auch die Zustimmung der Gemeindevertretung Rechnitz zu einem Landesmahnmal Kreuzstadl gewünscht wurde, begannen im Herbst 1998 Gespräche zwischen RE.F.U.G.I.U.S. und den einzelnen Gemeinderatsfraktionen. Alle Gespräche mit SPÖ, ÖVP und FPÖ verliefen in einem konstruktiven Klima. Prinzipiell wurde von keiner Fraktion ein Landesmahnmal abgelehnt, jedoch mussten die Fraktionen untereinander zu einer Entscheidungsfindung kommen. – Zu dieser kam es leider nicht.
Bei der Generalversammlung am 17. Dezember 1998 definierte der Vorstand von RE.F.U.G.I.U.S. als vorrangiges Ziel: Ein zentrales Mahnmal für ALLE Opfer des Südostwallbaus.
Eine Unterschriftenaktion für eine entsprechende Plattform, wie vom Landeshauptmann angeregt, wurde gestartet. Allerdings blieb diese Aktion ohne jede Wirkung auf die Burgenländische Landesregierung.
Weiters wurde bei der Generalversammlung 1998 beschlossen, jährlich ein Symposium im Rahmen der Gedenkfeiern zu veranstalten. Das erste Symposium widmete sich dem Thema "Südostwallbau und Formen des Gedenkens" und wurde im März 1999 durchgeführt.12 Im darauffolgenden Jahr wurde das Thema "Zweierlei Gedenken" behandelt, das Symposium 2001 beschäftigte sich mit "Verschwiegener Familiengeschichte" und das vorerst letzte im Jahr 2002 trug den Titel "Auschwitz ist eine Stadt in Polen – Stigmatisierte Orte oder Lernorte für die Zukunft".
RE.F.U.G.I.U.S. wird erwachsen
Das Hinhalten und die Weigerung seitens der politischen VerantwortungsträgerInnen Entscheidungen zu treffen, veranlasste RE.F.U.G.I.U.S. nicht länger geduldig zu sein. Unter dem Motto "mehr Privat - weniger Staat", entschloss sich der Vereinsvorstand auf die Unterstützung der PolitikerInnen zu verzichten und die Mittel für die Erweiterung des Areals und das "Mahnmal Kreuzstadl für alle Opfer des Südostwallbaus" durch private Spenden aufzubringen. Beeinflusst wurde diese Entscheidung auch von der zu diesem Zeitpunkt geführten Diskussion über das Konzert der Wiener Philharmoniker im Steinbruch der Gedenkstätte Mauthausen unter der neuen ÖVP-FPÖ Koalitionsregierung. Eine eventuelle Einflussnahme der Parteipolitik auf Gedenkarbeit wollte RE.F.U.G.I.U.S. verhindern. Gleichzeitig wurde beschlossen, in Zukunft auf Wortspenden von politischen VertreterInnen beim Kreuzstadl bis auf weiteres zu verzichten.13
Im Frühjahr 2000 wurde die Aktion "Baumpatenschaft" für ein Mahnmal Kreuzstadl für alle Opfer des Südostwallbaus gestartet. RE.F.U.G.I.U.S. will mit diesem Mahnmal neben der am schwersten betroffenen Opfergruppe der ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter ebenso der Tausenden Zwangsarbeiter aus aller Herren Länder sowie auch der einheimischen Zwangsdienstverpflichteten gedenken.
Eine Idealvorstellung ist es, dass alle Gemeinden des Burgenlandes, aber auch der angrenzenden Bundesländer und des ungarischen Grenzgebietes, die unmittelbar oder indirekt - durch Schanzarbeiten, Arbeitslager, Einquartierungen, Gewalttaten, Morde, Todesmärsche - von den Geschehnissen betroffen waren, Anteil an dieser Gedenkstätte haben sollen.
In einem Brief, der an die Bürgermeister von betroffenen Gemeinden erging, heißt es: "Wir meinen, dass das Gedenken, die Last der Erinnerung, nicht nur einer Gruppe von Menschen, nicht nur einem Ort allein aufgebürdet werden soll. Ohne von Schuld zu sprechen, so ist doch das kollektive Gedächtnis unseres ganzen Landes gefordert, um diese traumatischen Jahre der heimischen Geschichte zu verarbeiten. Im vorliegenden Projekt soll durch die Übernahme von Baumpatenschaften die Einbindung und Solidarisierung weiterer Kreise erzielt werden. Das Gelände (Endausmaß 15.000 m2 ) soll mit Bäumen und Sträuchern eingefriedet werden: Eine geschützte Stätte, die zur Besinnung einlädt. Wie auch in Israel und anderen Ländern gute Tradition, sollen blühende Bäume neues Leben, neues Denken aus den Ruinen der Vergangenheit symbolisieren."14
Ca. 20 Gemeinden beteiligten sich bisher an dieser Aktion. Erfreulich war, dass auch viele private Personen dem Aufruf gefolgt sind, so dass das Grundstück rund um den Kreuzstadl angekauft, mit Bäumen bepflanzt und der Israelitischen Kultusgemeinde übergeben werden konnte.
Bei der Gedenkfeier im März 2001 wurde die Erweiterung des bestehenden Mahnmals Kreuzstadl zu einem Mahnmal für alle Opfer des Südostwallbaus - sichtbar gemacht durch die Umfriedung des Areals mit jungen Ahornbäumen - präsentiert.
Es ist gelungen, so Paul Gulda bei seiner Rede anlässlich des Gedenkens am 24. März 2002, "einen Ort zu schaffen, der auch für Spätere entschlüsselbar ist und ihnen helfen kann, die richtigen Fragen zu stellen".
Damit hat der Verein RE.F.U.G.I.U.S. sein wesentlichstes Ziel erreicht.
Allerdings wird die Arbeit auch in Zukunft mühevoll sein. Der Kreuzstadl soll nicht als ein steinernes Mahnmal für sich stehen, sondern als lebendiges Mahnmal eine besondere Sinngebung erfüllen: Die Einbindung der Bevölkerung ist nach wie vor ein großes Anliegen. Durch verschiedene Projekte, wie Referate und Lesungen, einem Interviewprojekt in Rechnitz, in dem auch der Frage nach den Erlebnissen und Erinnerungen der RechnitzerInnen nachgegangen wird, soll versucht werden, Verständnis und mehr Aufmerksamkeit für die Geschichte, für das Erinnern, für Gedenkarbeit zu wecken. Die Zusammenarbeit mit Schulen soll verstärkt werden, die jährlichen Symposien sollen weiterhin die Auseinandersetzung auf wissenschaftlicher Ebene garantieren und einen intellektuellen Austausch ermöglichen. Weiterhin sollen Benefizkonzerte für die Unterstützung von Flüchtlingsarbeit im Burgenland stattfinden. Das Kreuzstadlareal soll weiter ausgestaltet werden zu einem Ort, der Erinnern, Gedenken und Nachdenken für viele Menschen möglich macht. "Ein Ort (...) hält Erinnerungen nur dann fest, wenn Menschen auch Sorge dafür tragen"15 , soll ein Leitsatz für die zukünftige Arbeit von RE.F.U.G.I.U.S. sein.
1 Manfried Rauchensteiner, Das militärische Kriegsende im Burgenland 1945, in: Stefan Karner (Hg.), Das Burgenland im Jahr 1945. Beiträge zur Landes-Sonderausstellung 1985, Eisenstadt 1985, S. 98 f.
2 Widerstand und Verfolgung im Burgenland. 1934 – 1945. Eine Dokumentation, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widertstandes (Hg.), 2. Auflage, Wien 1983, S. 336-339.
3 ebenda
Johann Temmel, Die jüdische Gemeinde in Rechnitz, in: Gombos, Gruber, Teuschler (Hg.), “ ... und da sind sie auf einmal dagewesen.”, Oberwart 1992, S.84 f.
Karl Klein, Beiträge zur Geschichte der Großgemeinde Rechnitz, Gemeinde Rechnitz (Hg.), Rechnitz o.J., S. 169 f.
4 Archiv RE.F.U.G.I.U.S., Hans Anthofer, Unterschriftenliste für die Errichtung eines Mahnmals in Rechnitz, o.J..
5 Archiv RE.F.U.G.I.U.S., Flugblatt des Personenkomitees Wurzer/Haas/Gregorich vom 24.11.1990
6 Archiv RE.F.U.G.I.U.S., Aussendung 13/1991
7 Archiv RE.F.U.G.I.U.S., Aussendung 20/1991
8 Archiv RE.F.U.G.I.U.S., Protokoll vom 25.6.1993
9 Archiv RE.F.U.G.I.U.S., Brief des Bürgermeisters an RE.F.U.G.I.U.S. vom 27.12.1994
10 RE.F.U.G.I.U.S., Vereinsstatuten 1996
11 Archiv RE.F.U.G.I.U.S., Einladung zur Gedenkfeier, 1997
12 Archiv RE.F.U.G.I.U.S., Protokolle 1997, 1998
13 Archiv RE.F.U.G.I.U.S., Protokolle 1999, 2000
14 Archiv RE.F.U.G.I.U.S., Brief an die Gemeinden, Juni 2000
15 Aleida Assmann, Das Gedächtnis der Orte, in: Borsdorf, Grütter (Hg), Orte der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum, Frankfurt/M 1999, S. 59-77. Zitiert nach Peter Gstettner, Referat: Orte mit historischer Belastung. Tagung “Stigmatisierte Orte - Lernorte für die Zukunft” am 23. März 2002, Oberwart
RE.F.U.G.I.U.S., A-7400 Oberwart, Hauptplatz 3-5/1, tel: 03352/ 34 525-22, fax: 03352/ 34 525-11, e-mail: info@refugius.at
Der Text als Download (pdf - 57kb)
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Widerstand und Verfolgung im Burgenland. 1934 – 1945. Eine Dokumentation, 2. Auflage, Wien 1983.
Gombos, Gruber, Teuschler (Hg.), " ... und da sind sie auf einmal dagewesen.", Oberwart 1992
Stefan Karner (Hg.), Das Burgenland im Jahr 1945. Beiträge zur Landes-Sonderausstellung 1985, Eisenstadt 1985.
Karl Klein, Beiträge zur Geschichte der Großgemeinde Rechnitz, Gemeinde Rechnitz (Hg.), Rechnitz o.J..
Clemens Peck, Der Fall Rechnitz und seine Folgen heute. Mattersburg 1996.
Harald Strassl, Wolfgang Vosko, Das Schicksal ungarisch-jüdischer Zwangsarbeiter am Bespiel des Südostwallbaus 1944/45 im Bezirk Oberwart. Unter besonderer Berücksichtigung der Massenverbrechen bei Rechnitz und Deutsch Schützen. Diplomarbeit, Wien 1999.